Mittwoch, 26. November 2014

Die Poesie des Schrecklichen

Der Name Rosa Parks ist über die Jahre etwas in Vergessenheit geraten, fragt man jüngere Menschen, so können sie ihn nur noch selten einordnen. Menschen meines Alters verbinden mit diesem Namen schon eher genauere Erinnerungen an den Beginn der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Rosa Parks wurde im Dezember 1955 in Montgomery, Alabama verhaftet, weil sie sich weigerte, ihren Sitzplatz im Bus für einen weißen Fahrgast zu räumen.
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Dies löste den Montgomery Bus Boykott aus, der als Anfang der schwarzen Bürgerrechtsbewegung gilt, die das Ende der sogenannten Jim-Crow-Gesetze herbeiführte. In der Folge kam es zu landesweiten Protestmärschen, das Lied „We shall overcome“ wurde zur Hymne aller friedlichen Demonstranten, die sich trotz massiver Angriffe durch die Polizei, zahlloser Verhaftungen und auch Todesfälle, nicht davon abhalten ließen, an ihrem gewaltlosen Protest festzuhalten und beharrlich für die gesetzliche Gleichbehandlung schwarzer wie weißer Bürger der USA einzutreten.
Wer hätte nicht schon von ihr gehört, dieser legendären „I have a dream“ Rede von Martin Luther King? Je schlimmer die Gegenmaßnahmen der Politik und Polizei wurden, um so standfester beharrten er und viele seiner Mitstreiter darauf, dass Gewaltlosigkeit und das solidarische Zusammenstehen der einzig wirksame und sinnvolle Weg sei, ihre Ziele zu erreichen, die man unter der Überschrift „Alle Menschen sind frei und gleich geboren“ zusammenfassen könnte.
Es gab schreckliche Zusammenstöße, Bilder von gelynchten, erschossenen, niedergeknüppelten, verletzten und blutenden Menschen. Und dennoch wurde so viel erreicht, nahm eine Bewegung ihren Anfang, die am Ende die lange überfällige Gleichstellung aller Rassen vor dem Gesetz zur Folge hatte. Und in all dem Schrecklichen lag eine Poesie, die den Traum einer besseren Welt beschrieb. Die Worte dazu schrieben verängstigte, unterdrückte und unter Ungerechtigkeiten leidende Menschen, die einander die Hand gaben und gemeinsam die Stärke gewannen, um zu widerstehen und auf ihrem Recht zu bestehen.
Nun ist heute Ferguson in aller Munde. Die Todesschüsse eines weißen Polizisten auf einen schwarzen Jugendlichen bewegen die Gemüter. Die Entscheidung der Anklagekammer, gegen den Schützen kein Ermittlungs- bzw. Strafverfahren zu eröffnen findet weltweite Resonanz in schadenfroher Bestätigung, entsetzter Empörung und, was mir der einzig gangbare Weg scheint, sachlicher Akzeptanz.
Der Kolumnist der NZZ bemerkt dazu einige grundsätzliche Dinge, die m.E. Beachtung finden sollten:
„Dass 150 Jahre nach der Abschaffung der Sklaverei und sechs Jahre nach der Wahl des ersten nichtweißen Präsidenten noch immer tiefe ethnische Trennlinien durch die amerikanische Gesellschaft gehen, bestätigt sich in Ferguson einmal mehr. Schwarze und Weiße leben meist nicht nur physisch auf Distanz zueinander, in ethnisch segregierten Wohngebieten, sondern auch in anderen Vorstellungswelten.“
Das mag man beklagen, aber das zu ändern wird mehr benötigen, als zwei Amtszeiten eines „Nichtweißen“ Präsidenten. Auch die Tatsache, dass es in Fergusons Polizei faktischen keinen schwarzen Polizisten gibt, obwohl die afroamerikanischen Bürger einen beträchtlichen Teil der Stadtbevölkerung ausmachen, ist schlimm und muss verändert werden. Aber Veränderungen im Bewusstsein und Verhalten der Menschen erreicht man wohl kaum im Gerichtssaal. Die Notwendigkeit für Veränderungen aufzuzeigen und das Ungleichgewicht in der Behandlung der Bürger verschiedener Hautfarbe in Ferguson ins Bewusstsein der Bevölkerung zu rücken ist kein einmaliger Akt, der mit einem Einzelfall zu bewerkstelligen wäre. Dazu bedarf es des beharrlichen Willens zur Veränderung, nicht einer Hauruckaktion unter dem Druck aktueller Ereignisse. Ich zitiere noch einmal aus der NZZ:
„Doch von Anfang an erwies sich der Fall Michael Brown als schlecht geeignet, um daraus ein Paradebeispiel für polizeiliche Willkür zu konstruieren. Das Opfer war kein Unschuldslamm, das einfach wegen eines schrecklichen Zufalls ins Visier eines schießwütigen Ordnungshüters geriet. Obwohl manches zum Hergang widersprüchlich bleibt, ist auch einiges klar: Brown war in ein Handgemenge mit dem Polizisten verwickelt, leistete diesem Widerstand, versuchte zu flüchten und ging dann auf den Schützen in einer Weise zu, die als Angriff wirken konnte. Seine Gewaltbereitschaft hatte Brown kurz zuvor bei einem Raubüberfall gezeigt. Wenn trotz diesen Umständen gemäß der erwähnten Umfrage 70 Prozent der Afroamerikaner eine Anklage gegen den Polizisten forderten, ist das auch nicht gerade ein Zeichen von Unvoreingenommenheit.“
Die Entscheidung der Anklagekammer mag man für fragwürdig halten, aber sie entspricht den Vorschriften des amerikanischen Rechtssystems. Neun von zwölf Geschworenen müssen einer Anklage zustimmen; es reicht also, dass vier Jury-Mitglieder der Version von Notwehr Glauben schenken, damit ein Gerichtsprozess unterbleibt. Die Kammer hat ihre Entscheidung auf der Grundlage der vorliegenden Untersuchungsergebnisse, in der Hauptsache Zeugenaussagen und des Obduktionsberichtes getroffen. Es mag durchaus sein, dass acht Kammermitglieder eine Anklage für notwendig und richtig hielten, formal war jedoch die Abweisung rechtens.
Wenn kurz nach der Entscheidung der Jury der Stiefvater des Opfers allerdings zu Brandstiftungen aufruft, wenn gewaltbereite, empörte Bürger und alle, die auf dieser Flamme ihr eigenes Süppchen kochen wollten, dann aber marodierend, plündernd und brandschatzend durch die Stadt ziehen, dann ist das in keiner Weise zu rechtfertigen. Weder formal, noch moralisch oder in sonst einer denkbaren Weise. Politische Scharfmacher nutzten die Gelegenheiten, ihre Interessen zu verfolgen, Oppositionskandidaten sahen eine Chance zur besseren Positionierung und mitten in dieser Gemengelage, eine große Anzahl einfacher Krimineller und Krawallmacher, die für sich die Gunst der Stunde nutzten.
Schrecklich, diese Gewaltausbrüche, deren Ende noch nicht als sicher gelten kann. Schrecklich der Anlass, der einen jungen Menschen das Leben gekostet hat und schrecklich der Zustand eines politischen Systems und eines Rechtssystems, in denen Ungleichheit und Benachteiligung immer noch allzu leicht möglich und geduldet sind.
Aber in diesem Schrecken liegt keine „Poesie“ mehr, ist kein Wille erkennbar, die Welt auch an dieser Stelle zu einem besseren Ort zu machen. Nicht der Traum aufzustehen, aktiv zu werden, um Falsches und Schlechtes zum Besseren zu wenden, sondern einzig und allein Hass, Ablehnung, festsitzende Vorurteile auf allen Seiten und von Gier und Machtgier getriebener Egoismus bestimmen das Handeln.
Mich erschreckt das und ich frage mich, ob unserer Welt die Fähigkeit zur Poesie verloren gegangen ist. Gibt es Poesie, die ja immer auch die Mutter des Guten und Schönen war, nur noch in Worten, in kleinen Versen und Gedichten? Haben wir zwar noch schöne Melodien, Bilder und Worte, aber keine großen Träume mehr, für deren Verwirklichung wir bereit sind, alles zu geben und alles zu riskieren?

Dienstag, 4. November 2014

Die andere Dimension

Ich erschaffe eine neue Welt! Ja, Sie haben ganz richtig gelesen, nicht mehr und nicht weniger als eine komplett neue Welt werde ich erschaffen. Sie halten mich wahrscheinlich nach diesen beiden Sätzen schon für einen komplett überdrehten, esoterisch angehauchten Spinner, aber ich werde Ihnen beweisen, dass ich eine Welt erschaffen kann und diesen Schöpfungsvorgang mit entsprechenden Fotos dokumentieren.


  Hier ist sie nun, die neue Welt. Zunächst einmal noch dunkel und leer, aber das werde ich gleich ändern. Sie meinen, das sei doch einfach nur ein Blatt Papier? Wenn Sie so wollen, ist es das tatsächlich. Aber das ist natürlich auch kein Wunder, denn die Welt, die ich erschaffe, gestalte und bevölkere, ist eine zweidimensionale Welt.




Als ersten wichtigen Schritt, werde ich diese Welt nun ein wenig erhellen. Für meine zweidimensionale Welt reicht eine einfache Lampe ja schon aus. Die späteren Bewohner werden ohnehin niemals erfahren, woher das Licht kommt. Sie kennen nur vorne, hinten, links und rechts, ein oben oder unten existiert für sie nicht.




Damit meine neue Welt nicht einfach nur eine öde, weiße, vollkommen leere Fläche bleibt, werde ich sie nun verschönern und farbig gestalten. Aquarellfarben sind das Mittel meiner Wahl, wenn Sie allerdings selbst einmal Lust verspüren, eine eigene Welt zu kreieren, tun es sicher auch Buntstifte, Filzstifte, Deckfarben, Fingerfarben oder was Sie sonst so im Hause haben.




Jetzt ist der Moment gekommen, diese Welt zu bevölkern. Natürlich kommen für eine zweidimensionale Welt auch nur zweidimensionale Wesen in Betracht. Auf ihre Erschaffung richte ich mein Hauptaugenmerk. Ich werde große Wesen erschaffen (ich nenne sie der Einfachheit halber Flachländer), kleine, rote, gelbe, schwarze und weiße. Diese Flachländer werden künftig die neue Welt bewohnen. Damit Sie ein abwechslungsreiches Leben führen können, werde ich sie auch noch mit verschiedenen Fähigkeiten und Talenten ausstatten.



Nun werde ich sie zum Leben erwecken.


Wie? Sie meinen, das wäre geflunkert, denn in Wirklichkeit, bewegen sich diese Flachländer doch nur durch meine Kraft, die ich mit meinen Fingern auf sie übertrage? Richtig! Aber das wissen diese Flachländer doch nicht und werden es auch nie in Erfahrung bringen können. Sie werden vielleicht später allerlei Vermutungen über den Ursprung ihres Lebens und die Kraft, die sie belebt und in Bewegung hält, anstellen, aber da Ihnen jegliches Verständnis für den Einfluss aus einer anderen, höheren Dimension fehlt und sie aufgrund ihrer Begrenztheit auf Ihre zweidimensionale Welt, auch niemals wirkliches Wissen über die Vorgänge in einer anderen, höheren Dimension erlangen können, werden sie solche Vermutungen in den Bereich der Phantasie, der Einbildung und des Glaubens verweisen.


Um diese Flachländer trotzdem wissen zu lassen, dass es mich gibt, dass ich sie erschaffen habe und mich um sie kümmere, werde ich sie immer wieder einmal berühren - tröstend, streichelnd, zärtlich und sanft. Sie werden diese Berührung verspüren, aber da ein "oben" für sie nicht existiert, werden sie sich fragen, woher dies Gefühl, liebevoll berührt worden zu sein, wohl gekommen sein mag. Sie werden miteinander darüber  reden und einige werden auch diesen Kontakt in die Region von Einbildung, Phantasie, Wunschdenken oder Glauben schieben. "Ich habe niemanden gesehen!" werden sie sagen. "Weder vor oder hinter dir, noch neben dir! Was du gefühlt haben willst, ist absolut nicht beweisbar, nicht messbar und widerspricht allen physikalischen Grundlagen unserer Welt."
Diejenigen, die diese Berührung wahrgenommen haben und ihr eine Bedeutung beimessen, werden antworten: "Das ist keine Frage von Beweisen oder ein wissenschaftlich zu erklärendes Phänomen! Ich weiß einfach, dass es mehr gibt, als wir sehen können. Mehr als unsere Wissenschaft messen und erforschen kann, mehr als wir uns vorstellen können. Ich glaube daran, denn ich habe es gespürt und diese Berührung war anders und schöner, als alles, was ich je vorher erfahren habe!"

Man wird sie auslachen und ihnen sagen, dass man ihnen ihren Glauben ja nicht nehmen wolle, weil er ihnen offensichtlich wichtig sei und für sie eine Krücke sein könne, um das Leben zu bewältigen. Aber letztlich, so wird man ihnen vorhalten, gäbe es nun einmal nur links, rechts, vorn und hinten, das sei erforscht und bewiesen. Man wird kichern und gelegentlich ganz gern über sie spotten, über diese spinnerten Gläubigen, die entgegen jeglicher wissenschaftlichen Erkenntnis und entgegen jeglicher Einsicht eines "normalen Verstandes" an ihrer Überzeugung festhalten.

Kommt Ihnen das bekannt vor? Gehören Sie auch zu den Menschen, die etwas für unmöglich, lächerlich und naiv halten, nur weil es in einer anderen Dimension stattfindet und von dieser anderen Dimension ausgeht, die unsere Dimensionen umschließt und hervorgebracht hat? Eine Dimension in der unser Ursprung liegt und aus der die Kraft kommt, die uns, unser Leben, unsere Welt, ja das ganze Universum erhält und bewegt! Dann sind Sie wahrscheinlich auch ein "Flachländer" für den es nichts geben kann, was über seinen eigenen begrenzten Erfahrungshorizont hinausgeht. Sie glauben, alles sei von selbst entstanden, sei erforscht, durchdacht, erfasst und berechnet. Wenn etwas Sie in Ihrem Innern berührt, dann ist das "psychisch" und die Kraft, die Sie am Leben und in Bewegung hält, ist ein biochemischer Vorgang, der elektrische Ströme erzeugt. Außerhalb alles Messbaren gibt es nichts!

Ich habe kein Problem mit solchen Gedanken und Erfahrungen. So wie es mir ein Leichtes war, eine zweidimensionale Welt zu erschaffen, sie zu bevölkern und alle meine Geschöpfe gleichzeitig im Blick zu behalten, mich um sie zu kümmern und sie "lebendig" zu erhalten, so übersteigt der Gedanke, dass der Ursprung all dessen was ist, in einer anderen, höheren, von uns nicht einsehbaren und nicht verstehbaren Dimension liegt, mein Vorstellungsvermögen keineswegs. Lachen Sie ruhig darüber, aber ich spüre sehr wohl, wenn mich etwas aus dieser anderen, höheren Wirklichkeit berührt, mich sanft und liebevoll daran erinnert, dass es mehr gibt als das, was wir sehen, messen und erfassen können.

Fotos: Eigene 11/2014