Samstag, 6. Dezember 2014

Dennoch! (an meinen Freund)

Nun feiern wir schon bald wieder Weihnachten und wer es bisher noch nicht bemerkt hat, dem wird spätestens jetzt klar, dass wieder ein Jahr vergangen ist. Nahtlos reiht sich eines an das andere und die Zahl der verbleibenden Jahre wird immer überschaubarer. Seit vielen Jahren sind wir jetzt beste Freunde, haben viel miteinander erlebt, manches überstanden und dabei immer zueinander gestanden. Da du ja fast zwanzig Jahre jünger bist als ich, kam mir nun der Gedanke, dir diesen Wunsch anzuvertrauen.
Eines Tages – und dieser Tag kommt gewiss – werdet ihr alle beieinander sitzen, Kinder, Enkel, Verwandte, gute und weniger gute Freunde und vielleicht sogar ein paar Nachbarn. Bei Kaffee und Streuselkuchen, wie das eben so ist.
Bei der zweiten Tasse Kaffee werden die ersten schwarzen Krawatten gelockert, ein paar dunkle Jacketts ausgezogen und über die Stuhllehne gehängt, Manschettenknöpfe geöffnet und Ärmel hochgerollt, je nachdem, in welcher Jahreszeit das sein wird. Gesichtszüge entspannen sich, Mienen werden freundlicher und die ersten „weißt du noch?“ werden zu hören sein.
Ich erinnere mich noch genau...
Ja, dass weiß ich auch noch...
Wisst ihr noch, wie wir damals...
Egal, wie alt einer wird, werden die Klugen sagen, es ist ja doch immer zu früh. Nun ja, werden noch Klügere antworten, manchmal ist es auch eine Erlösung, wer weiß das schon? Und ganz Kluge werden zu berichten wissen, dass er in den letzten Jahren sehr unter seiner schlechten Gesundheit zu leiden hatte, kein Wunder, nach zwei Infarkten. Da ist das Leben ja irgendwann nicht mehr schön, werden Sie sagen und dabei weise und bedeutungsschwer die Köpfe wiegen.
Er war schon ein ganz besonderer Mensch, sagt dann einer. Das sagen sie immer, mein lieber Freund, das gehört sich so. Ein anderer wird anfügen, ja, er hatte große Erfolge in seinem Leben... Aber auch einige bittere Niederlagen, wird ein Dritter entgegnen und alle werden sich wissend anschauen.
Und dann zuletzt diese dauernden Schmerzen, wird eine mitleidige Frau weinerlich mit einem Seufzen hinzufügen.
Dann, mein lieber und bester Freund, mein treuer Begleiter in allen schweren und den schönen Jahren, dann möchte ich, dass du aufspringst und die Hand hebst, damit alle zum Schweigen gebracht werden. Und dann, dann sagst du es ihnen, laut und deutlich, damit es ihnen für immer im Gedächtnis bleibt:
Er hat gelebt! Und er hat immer und dennoch gern gelebt!
Und dann, mein Guter, dann soll Wein auf den Tisch und Musik soll gespielt werden, weil ja nur ich tot bin, eingegangen in die ewige Ruhe. Ihr aber lebt noch und das Leben soll gefeiert werden – dennoch!

Foto: Stephanie Hofschlaeger / piexelio.de

2 Kommentare:

  1. Mein lieber Sec, Ihr Freund wird Ihnen diesen bittersüßen Wunsch erfüllen, denke ich. Lassen Sie mich ein eigenes Dennoch hinzuzufügen: Die mitleidige Frau mit der weinerlichen Stimme, die sollte lieber Schweigen dürfen.
    Herzfeine Grüße, Ihre Käthe, zugeneigt.

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    1. Ja, liebe Käthe, gegen das Schweigen dieser Frau wäre nichts einzuwenden :-)
      Herzliche Grüße zurück, Sec

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